Das „Fremde“ im Film


Vortrags- und Filmreihe in Kooperation mit dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg im Wintersemester 2025/2026
unterstützt durch das SFB-Teilprojekt C04 „Visuelle Chiffren von Heimat in Bildender Kunst, Literatur und Film“
Die Veranstaltungen finden jeweils mittwochs um 18:00 Uhr im Gloria-Kino statt.
Tickets: 11 € regulär, 9 € ermäßigt, 8 € für Studierende (ggf. Überlängenzuschlag)
Konzeption und Organisation: Henry Keazor und Alexandra Vinzenz
„Fremdheit“ ist ein Begriff, der aktuell in vielen politischen Debatten verwendet wird. Dabei wird er von der einen Seite immer wieder als Begründung für betriebene Ausgrenzung genutzt, von der anderen Seite hingegen zur Bezeichnung einer häufig dadurch bedingten Leidenserfahrung beklagt. Tatsächlich jedoch kann Fremdheit darüber hinaus noch sehr viele andere, vielschichtige Dimensionen aufweisen: Moralische Fremdheit wird empfunden, wenn unterschiedliche Werte und Normen aufeinandertreffen. Sie kann wiederum zu einer Entfremdung selbst zwischen sich scheinbar zunächst nahestehenden Menschen führen. Genauso wie physische Fremdheit eine Grenze zwischen dem vertrauten „Eigenen“ und dem vermeintlich „Anderen“ ziehen kann: Vertrautes kann so plötzlich fremd wirken. Diese Grenze zwischen Vertrautem und Anderem prägt auch die Idee einer kulturellen Fremdheit, bei der Sprache, Zeichen, Praktiken und Denkweisen als außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts liegend wahrgenommen werden. Gerade hier zeigt sich die produktive Seite des „Fremden“, denn es provoziert dazu, sich der Deutungsmuster bewusst zu werden, welche die eigene Identität prägen. Es kann anregen, Überschneidungen, Parallelen oder Möglichkeiten der Bereicherung bei einer Begegnung der Kulturen zu erkennen: Das Fremde bedeutet nicht zwingend nur statische Distanz, sondern es kann bei näherer Begegnung zunehmend vertraut werden. Fremdheit ist mithin nicht ausschließlich als Defizit und Herausforderung zu begreifen, sondern auch als Chance, da durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden eigene Routinen in Frage gestellt und neue Perspektiven gewonnen werden können.
kommende Filme und Termine der Reihe:



Das Spektrum des "Fremden" - Kurzfilmabend
Termin: 22.10., 18:00 Uhr
Gespräch mit Melanie Gärtner - Regisseurin und freie Autorin, Frankfurt a. M.
Drei unterschiedliche Genres eröffnen drei verschiedene Perspektiven. Die Kurzfilme erzählen unterschiedliche Geschichten von Fremdheitserfahrungen: Indem sie mal einen explizit politischen Blick auf die afrikanische Flüchtlingssituation 2012 geben, mal eine surreal anmutende physische Verfremdung, mal abstrakt dargestellt die Ausgrenzungssituation im aktuellen Deutschland zeigen, animieren sie zum Nachdenken über die Mechanismen hinter der „Fremde“. Melanie Gärtner gibt als Regisseurin von Im Land dazwischen einen Impuls zu dem Themenkomplex und tritt anschließend mit Henry Keazor, Alexandra Vinzenz und dem Publikum ins Gespräch.
drei Kurzfilme:
IM LAND DAZWISCHEN
D 2012 | Regie: Melanie Gärtner
Der Dokumentarfilm „Im Land Dazwischen“ erzählt die Geschichten von Cyrille (Kamerun), Sekou (Mali) und Babu (Indien). Auf ihrer Reise nach Europa finden sich die jungen Männer an einem Ort wieder, an dem sie weder vor können, noch zurück. In Ceuta, einer spanischen Exklave an der nordafrikanischen Küste, ist das Ziel so nah. Doch die Festung Europa macht die Schotten dicht. Ist der Weg ins erträumte Europa in Ceuta wirklich zu Ende? Der Film begleitet die jungen Männer in ihrem Alltag des endlos scheinenden Wartens und zeigt, wie sie versuchen mit der ungewissen Situation klar- … und aus ihr herauszukommen.
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Sweet Rabbit
NL 2012 | Regie: Camiel Schouwenaar
Eine Frau verwandelt sich in einen Hasen und findet ihr wahres Selbst.
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Obervogelsang
D 2020 | Regie: Ferdinand Ehrhardt & Elias Weinberger
Eine Jugendliche wird mit einer frischen rechtsextremistischen Schmiererei in der S-Bahn und einer von ihr zuvor verdrängten Fratze ihrer sächsischen Heimat konfrontiert.

THE EXHIBITION (OV)
Termin: 19.11.2025, 18:00 Uhr
Gespräch mit Damon Vignale, Regisseur, Kanada
Zwischen Dargestelltem und Betrachtung: Kann Kunst Fremdheit überwinden oder verstärkt sie?
CA 2013 | Regie: Damon Vignale
Der Dokumentarfilm The Exhibition begleitet die kanadische Malerin Pamela Masik, die sich mit Gewalt gegen Frauen auseinandersetzt. Der Film zeigt nicht nur den künstlerischen Prozess, sondern auch die heftigen gesellschaftlichen Kontroversen um die Ausstellung. Dabei wirft er Fragen über Kunst, Erinnerung und den respektvollen Umgang mit Opfern auf. Mit dem Regisseur Damon Vignale unterhalten sich Henry Keazor, Alexandra Vinzenz und das Publikum in englischer Sprache.
THE STRANGER (OmU)
Termin: 10.12.2025, 18:00 Uhr
Vortrag: Henry Keazor - Universität Heidelberg, Institut für Europäische Kunstgeschichte
Entfremdung als Subversion
USA 1946 | Regie: Orson Welles | 95 Min.
„Die Spur des Fremden hat immer noch Welles’ visuelle Raffinesse, aber 1946 hatte der Film noir bereits seine Vorliebe für Schatten und Groteskes übernommen. […] Möchtegern-Philosophen, die beim Damespiel mogeln, und Highschool-Schönheiten, die Faschisten heiraten - mit dieser Kleinstadtidylle nimmt Welles David Lynch um Jahrzehnte vorweg.“ (Filmkritiker Kim Newman)
Orson Welles’ Film The Stranger weist – jenseits des bereits bezeichnenden Titels – eine Vielzahl von Beziehungen zur Thematik dieser Reihe auf: So ist das Werk selbst das Produkt eines Entfremdungsprozesses zwischen Hollywood und dem Regisseur – Welles reagiert auf vorherige Kritik, indem er mit diesem Film indirekt zu beweisen versuchte, dass er entsprechend der Bedingungen des Systems funktionieren könne. Zugleich handelt der Film selbst von Entfremdungen, die sowohl das Verhältnis der Figuren untereinander prägen, als auch das Idyll einer amerikanischen Kleinstadt unterwandern und traumatisieren. Außerdem bezieht The Stranger der eigenen Spielfilm-Gattung strenggenommen „fremdes“ Dokumentarmaterial mit ein.
DISTRICT 9 (OmU)
Termin: 07.01.2026, 18:00 Uhr
Vortrag: Martin Ramm - Medienwissenschaftler und Filmjournalist, Kiel
Katzenfutter & Körperhorror in District 9: Logiken der Fremdheit im Science-Fiction-Kino
USA/NZ/CA/ZA 2009 | Regie: Neill Blomkamp | 112 Min.
Seit zwei Jahrzehnten leben über Johannesburg gestrandete Außerirdische als "Asylsuchende" im abgeschotteten Ghetto "District 9". Doch eine zunehmend feindlich gesinnte Gesellschaft will sich ihrer entledigen und beauftragt einen privatwirtschaftlichen Konzern mit ihrer Auslagerung vor die Tore der Stadt. Dieser ist aber mehr an den hochentwickelten Waffen der Aliens als an ihrem Wohlergehen interessiert. In Form eines "Mockumentarys" skizziert das grimmige Science-Fiction-Drama eine degenerierte Gesellschaft und verbindet seine dystopische Botschaft auf fesselnde Weise mit einem eindrücklichen, auf Realismus abzielenden "Look". (filmdienst.de)
Der Film District 9 ist geprägt von Widersprüchen: Auf der Oberfläche beleuchtet er kritisch Apartheid, Zwangsumsiedlungen und Konzernherrschaft. Doch im Subtext offenbaren sich antinomische Spannungen: Die „fremden“ Aliens werden durch Ekel-Ästhetik und Schwarm-Semantik markiert, und die auf den ersten Blick konventionelle Heldenreise des Protagonisten lässt ambivalente Lesarten zu. Diesen Phänomenen geht der Vortrag nach – vor dem Hintergrund einer immer schon zerrissenen Tradition von Fremdheitsdarstellung im Science-Fiction-Film.
LOST IN TRANSLATION (OmU)
Termin: 21.01.2026, 18:00 Uhr
Vortrag: Theo Piegler - Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychatrie, Psychotherapie (TP) und Nervenheilkunde, Hamburg
Das Fremde: Psychoanalytische Perspektiven
USA/JP 2003 | Regie: Sofia Coppola | 102 Min.
In einer gesichtslosen Hotelbar in Tokio begegnen sich ein in die Jahre gekommener amerikanischer Schauspieler und die gelangweilte junge Frau eines Fotografen: zwei Jet-Set-Gestrandete, die ihres Lebens überdrüssig sind. Leise Tragikomödie über Gleichgültigkeit und die Flüchtigkeit des Daseins; ein nuanciertes Kammerspiel, das nicht nur in der verhaltenen Annäherung seiner Protagonisten eine feine Mitte wahrt, sondern auch den fremden Spiegel des zeitgenössischen Japan als irreal-verträumten und zugleich tief emotionalen Widerschein einer metaphysischen Verlorenheit nutzt. (filmdienst.de)
In dem Vortrag geht es um das Fremde, das nicht nur in dem Film Lost in Translation, sondern in unterschiedlichen Formen in unser aller Leben eine zentrale Rolle spielt. Ausgehend von Freuds Verständnis des Fremden als aus den eigenen Ängsten erwachsend, wird dieses „eigene Fremde“ vom „fremden Fremden“ unterschieden. Letzteres bricht von außen auf das Individuum ein, wie etwa der Eintritt des Menschen in diese Welt und das Ende im Tod zeigen. Unsere unbewussten Abwehrmechanismen im Umgang damit werden skizziert, ebenso wie ein mehr oder weniger gut gelingender Umgang mit dem Fremden, in dem „Intersubjektivität“ und daraus erwachsende „Begegnungsmomente“ eine zentrale Rolle spielen.